Christoph Wunnicke

Historiker, Schwerin                                                                                           21. Febr. 2024

 

 

Wergin, Claus: Ein Bürgermeister zwischen den Stühlen, 2024,  978-3-946324-73-7 (ISBN), 116 Seiten.

Politik wird von Menschen gemacht. Die große, wie auch die des Ortes in dem man wohnt. Alle leben mit ihren Folgen, nur wenige gestalten sie aktiv. Einer von ihnen ist Claus Wergin, der sich 2019 auch auf Bitten von Bekannten und gegen den Rat wiederum anderer entschied, für das ehrenamtliche Bürgermeisteramt seines Ortes Seehof, wenige Kilometer nördlich von Schwerin gelegen zu kandidieren. Er gewann im zweiten Wahlgang als unabhängiger Kandidat, seine achtköpfige Gemeindevertretung besteht aus Vertretern von drei Wählerbündnissen und einer Partei, unter ihnen seine drei unterlegenen Gegenkandidaten aus der Bürgermeisterwahl. Über seine Erlebnisse mit diesen, aber auch mit der Amtsverwaltung und den Wählern hat er ein kleines Buch geschrieben, das in erstaunlicher Komprimiertheit die Untiefen seines Amtes und seiner Amtszeit ohne Namen zu nennen detailliert zusammenfasst.

Beschreibt er den Ort Seehof auch als Paradies, nimmt Wergin den Leser sofort mit in Probleme wie das Fehlen eines Heimatsvereins und die auch damit zusammenhängende Einsamkeit älterer Bewohner, welche auch er nicht grundsätzlich beseitigen kann. Nicht nur aus prinzipiellen Gründen. Wird er einerseits bei den meisten Problemlösungsversuchen von der Amtsverwaltung kompetent unterstützt stößt er andererseits regelmäßig auf politische und gesellschaftliche Widerstände. Die Beschreibung dieser Konflikte macht den größten Teil des Buches aus.

Wergin diagnostiziert eine Entpflichtung der Gesellschaft untereinander wie auch die daraus resultierende zunehmende Anspruchshaltung gegenüber einer für immer mehr gesellschaftliche Teilbereiche verpflichtend zuständig gehaltene Politik und ihren Institutionen. Hier sind Konflikte angelegt, die sich nicht nur in der die Ortspolitik Seehofs mitbeeinflussenden Social-Media-Öffentlichkeit entladen, sondern auch in der Gemeindevertretung bzw. deren Ausschüssen. Wergin berichtet vor allem über die von persönlichen Abneigungen geprägten Kontroversen, weniger über die rein politischen, die es so auf Ortsebene wahrscheinlich auch seltener gibt.

Was Ortspolitik im Vergleich zur großen Politik leider nicht vermissen lässt, sind die persönlichen Dispositionen, ja sogar der Hass mancher politischen Akteure der gelegentlich sogar in Straftaten umschlägt. Wer das Amt eines ehrenamtlichen Bürgermeisters anstrebt, um etwas Gutes für seinen Ort zu tun und dafür gemocht zu werden, wird durch Wergins Buch geheilt. Man hofft inständig, dass Wergin die erfüllenden Erfahrungen des Amtes unterschlägt bzw. nicht betont. Man sollte sich dessen aber nicht sicher sein.

Der Leser freut sich, wenn Wergin beschreibt, wie brauchbar sechs simple Schaukästen für die politische Öffentlichkeit des Ortes sind und dass die Website der Gemeinde stark frequentiert ist. Dieses große Interesse schlug aber in der Amtszeit Wergins zu selten in konstruktive Mitarbeit des Souveräns, des Wählers, in den Angelegenheiten des Ortes um. In der „Wohlstandsdemokratie“ verkommt Politik oft zu einer öffentlichen Auseinandersetzung weniger Akteure unter interessierter Betrachtung der Mehrheit, die sich zum Feierabend mal kurz in die (wie in Seehof regelmäßig möglich) online übertragene Gemeindevertretungssitzung schalten.

Vielleicht auch deshalb lässt der Autor offen, ob er sich um eine weitere Amtszeit bewirbt.  Es bleibt zu hoffen, dass sich nicht nur in Seehof, sondern auch anderenorts möglichst viele finden die für Gemeindevertretungen oder das Bürgermeisteramt kandidieren. Egal ob sie politisch erfahren sind oder nicht. Beiden sei das Buch des Praktikers Claus Wergin empfohlen: Den einen zur Selbstvergewisserung und Stärkung in ihren jeweiligen Ämtern, den anderen zur idealistischen Erbauung in der Hoffnung, es selbst viel besser hinzubekommen - als bspw. Claus Wergin. Der sicher mit demselben Vorsatz, der unbedingt zur Politik gehört vor fünf Jahren zur Bürgermeisterwahl antrat.

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